Schweinegrippe, Vogelgrippe, Influenza-Pandemie und die Optionen der Homöopathie (1)

Homöopathische Behandlung der Influenza
Eine Betrachtung zu einer potentiellen Influenza-Pandemie

Vom Umgang der Homöopathie mit Epidemien

Einer der Bio­gra­phen von Samu­el Hah­ne­mann – Her­bert Frit­sche – schil­dert die Cho­le­ra­epi­de­mie von 1830 und das the­ra­peu­ti­sche Vor­ge­hen von S. Hah­ne­mann und des­sen Erfol­ge wie folgt [3]:

“Schon bald ster­ben in Preu­ßen die Men­schen den furcht­ba­ren Cho­le­ra­tod und lie­gen als Lei­chen in der typi­schen Fech­ter­stel­lung umher. In Köthen bricht Angst aus. Die stol­zen Wort­füh­rer der offi­zi­el­len Medi­zin, die soeben noch gegen eine Gefahr der Volks­ge­sund­heit vor­ge­gan­gen sind, hal­ten sorg­sam den Mund. Jetzt ist die Volks­ge­sund­heit wirk­lich gefähr­det und zugleich das gale­ni­sche Latein ihrer ein­zig legi­ti­men Hüter am Ende.

Hah­ne­mann erkennt die Mög­lich­keit, die die Stun­de ihm zuweist. In vier Mona­ten ver­fasst er vier Abhand­lun­gen über Ver­hü­tung und Hei­lung der Seu­che, die er – um der gro­ßen Ver­brei­tung wil­len – ohne jeden Hono­rar­an­spruch in die Mas­sen wer­fen lässt.

Was darf man von dem fana­ti­schen Greis erwar­ten? Er wird die Cho­le­ra dar­stel­len als einen sich in bestim­men Sym­pto­men offen­ba­ren­den Geni­us epi­de­mi­cus, gegen den irgend­ei­ne Hoch­po­tenz ange­wen­det wer­den muss.

Wenn er das getan hät­te, könn­te nie­mand ihm dar­aus einen Vor­wurf erwach­sen las­sen. Noch kennt man die krank­heits­er­re­gen­den Klein­le­be­we­sen nicht, noch ahnt nie­mand etwas von einer äuße­ren oder inne­ren Des­in­fek­ti­on, um sol­che Erre­ger zu vernichten.

Die Leip­zi­ger Halb­ho­möo­pa­then wer­fen Hah­ne­mann vor, er sei in sei­nen alten Tagen starr und blind dog­ma­tisch gewor­den. Als die Cho­le­ra vor den Toren von Köthen ange­langt ist, hat Hah­ne­mann bereits die rech­te The­ra­pie gefun­den, um mit ihr fer­tig zu wer­den. Wenigs­tens alle fünf Minu­ten erhält der Kran­ke ein bis zwei Trop­fen Kamp­fer­spi­ri­tus. Die Begrün­dung ist so erstaun­lich modern, so kühn über den Rah­men der sons­ti­gen homöo­pa­thi­schen Ver­ord­nun­gen hin­aus­grei­fend, dass sie wört­lich zitiert wer­den muss:

“Der Cam­pher besitzt vor allen andern Arz­nei­en die Eigen­schaft, dass er die feins­ten Thie­re nie­de­rer Ord­nung schon durch sei­nen Dunst schnell töd­tet, und so das Cho­le­ra Miasm (was wahr­schein­lich in einem, unsern Sin­nen ent­flie­hen­den leben­den Wesen men­schen­mör­de­ri­scher Art besteht, das sich an die Haut, die Haa­re usw. der Men­schen oder an deren Beklei­dung hängt, und so von Men­schen zu Men­schen unsicht­bar über­geht) am schnells­ten zu töd­ten und zu ver­nich­ten, und so den Lei­den­den von dem­sel­ben und der dadurch erreg­ten Krank­heit zu befrei­en und her­zu­stel­len, im Stan­de sein wird. – In die­ser Absicht muss der Cam­pher in vol­ler Aus­deh­nung ange­wen­det werden”.

Ist das noch Homöo­pa­thie? Spie­let hier nicht ganz deut­lich das ursäch­li­che Den­ken der Kli­nik hin­ein und sogar deren Leh­re von den mas­si­ven, direkt che­misch angrei­fen­den Gaben?

Noch son­der­ba­rer: Wäh­rend die Kli­nik die ihr wesens­ge­mä­ßen Heil­we­ge und Mit­tel gegen die Cho­le­ra nicht zur Ver­fü­gung hat, geht der Außen­sei­ter Hah­ne­mann den ihm so frem­den Weg ohne jedes Besin­nen und als hier wie immer erfolg­rei­cher Arzt.

Die Lei­den der Kran­ken wer­den getilgt, aber muss nicht statt des­sen die Rein­heit der Idee um so schlim­mer lei­den? Er selbst ver­sucht auf die­se Fra­ge zu antworten:

“Der Cam­pher ist eine so beson­de­re Arz­nei­sub­stanz, dass man sie leicht für eine Aus­nah­me von allem übri­gen zu hal­ten in Ver­su­chung kom­men könn­te, denn er macht auf den mensch­li­chen Kör­per einen obschon mäch­ti­gen, doch nur gleich­sam ober­fläch­li­chen Ein­druck, wel­cher zugleich so vor­über­ge­hend ist, wie von kei­ner andern, so dass man bei sei­ner homöo­pa­thi­schen Anwen­dung die klei­ne Gabe fast augen­blick­lich wie­der­ho­len muss, wenn die Hei­lung einen dau­er­haf­ten Erfolg haben soll. Die­se beim Cam­pher oft so nöthi­ge Erneue­rung der klei­nen Gabe beim homöo­pa­thi­schen Gebrau­che gie­bt ihm das Anse­hen einer gro­ßen Gabe, und die­sem Ver­fah­ren das Anse­hen einer pal­lia­ti­ven Behand­lung, die es doch durch­aus nicht ist, da der Heil­erfolg in sol­chen Fäl­len dau­er­haft bleibt, und sei­nen Zweck voll­kom­men erreicht, was ein Pal­lia­tiv der Natur der Sache nach (als dem Krank­heits­zu­stan­de in sei­ner Wir­kung ent­ge­gen­ge­setz­tes Mit­tel) nie thun kann, weil es stets in den gro­ßen, auch wohl gestei­ger­ten Gaben doch nur eine vor­über­ge­hen­de Schein­hül­fe her­vor­brin­gen, und das Übel in der Nach­wir­kung nur sich stets wie­der erneu­ernd und um des­to mehr sich ver­stär­kend hin­ter­las­sen kann.”

Das Plä­doy­er über­zeugt nicht. Unver­se­hens ist Hah­ne­mann in ein ande­res Den­ken als das homöo­pa­thi­sche hin­ein­ge­ra­ten. Sei­ne eige­nen ärzt­li­che Genia­li­tät spiel ihm einen Streich. Die ein­zig mög­li­che Cho­le­ra­the­ra­pie sei­ner Zeit fin­det und voll­endet er – er fin­det und voll­endet sie aber außer­halb des magi­schen Bezirks sei­nes Simi­le, den er sonst so ent­schlos­sen inne­hält. Salus aegro­ti supre­ma lex, das Heil des Kran­ken ist obers­tes Gesetz.

Für die Spät­sta­di­en der Cho­le­ra wen­det er wie­der­um ech­te homöo­pa­thi­sche Mit­tel an, Kup­fer, Nieß­wurz, Zaun­rü­be und Gift­su­mach in hohen Poten­zen. Jedoch dem Kamp­fer muss er, mag er sich dre­hen und wer­den wie er will, eine Son­der­stel­lung in der Arz­nei­mit­tel­leh­re anwei­sen. Es ist ihm aller­dings schon vor der Cho­le­ra­zeit auf­ge­fal­len, dass es mit dem Kamp­fer sei­ne eige­ne Bewandt­nis hat; die “Rei­ne Arz­nei­mit­tel­leh­re” berich­tet davon. Hier jedoch, im Fal­le der Cho­le­ra, liegt gar das Schwer­ge­wicht des Han­delns auf einer außer­halb des homöo­pa­thi­schen Rah­mens statt­fin­den­den Arzneiwirkung.

Das Pro­blem ist nicht so son­der­bar, wie es von fer­ne schei­nen mag. Immer ist Hah­ne­mann wil­lens, dort ein direk­tes ärzt­li­ches Ein­grei­fen, ein ursäch­­lich-tech­­ni­­sches Han­deln zu gestat­ten, wo Fremd­kör­per und mecha­ni­sche Hin­der­nis­se dem gesun­den Ablauf im Wege sind, vom ein­ge­ris­se­nen Split­ter bis zum Kno­chen­bruch. Nun hat der glei­che Mann, der sei­nem Simi­le selbst die Gren­ze setzt, wenn Fremd­ge­wal­ten aus dem Orga­nis­mus phy­sisch ent­fernt wer­den müs­sen, das Glück und Unglück in einem, die unsicht­ba­ren Erre­ger der Cho­le­ra zu erken­nen. Sie sind eben­falls win­zi­ge, wenn­gleich leben­di­ge, “Fremd­kör­per”. Er ent­fernt sie mit­tels rasch hin­ter­ein­an­der ver­ab­reich­ter Kamp­fer­ga­ben, von denen er weiß und will, dass sie die ein­ge­drun­ge­nen Stö­ren­frie­de ver­nich­ten. Einen Split­ter ent­fernt man, indem man ihm her­aus­zieht; einen mikro­sko­pi­schen Krank­heits­er­re­ger, indem man ihn tötet.

Die schein­ba­re Inkon­se­quenz des Cho­le­ra­ar­z­tes Hah­ne­mann ist in Wahr­heit nur eine Erwei­te­rung sei­ner von ihm selbst aner­kann­ten Aus­nah­men­fäl­le auf die Erre­ger­krank­hei­ten, die er bereits behan­deln kann, als ande­re sie noch nicht ein­mal ahnen. Bezeich­nend bleibt, dass Hah­ne­mann nur dort mit­tels Kamp­fer direkt gegen den Erre­ger angeht, wo die Erkran­kung noch frisch ist und die­ser gewis­ser­ma­ßen in fla­gran­ti besei­tig wer­den kann. Ist hin­ge­gen die bio­lo­gi­sche Aus­ein­an­der­set­zung des Orga­nis­mus mit dem Erre­ger in vol­lem Gang, so wird wie sonst zur rein homöo­pa­thi­schen Arz­nei gegriffen.”

Anmerkung

Man­che stöh­nen: so viel Zitat!, ein so lan­ges Zitat! Aber es ist hier unbe­dingt wich­tig, das Gan­ze zu zitie­ren, weil die Essenz [von den Ver­fas­sern durch Dick­druck her­vor­ge­ho­ben] so kla­rer zum Aus­druck kommt: zunächst die direk­te Erre­ger­ver­nich­tung – sozu­sa­gen in fla­gran­ti – mit dem Asep­ti­kum Cam­pher, danach – bei Erschei­nen der Indi­vi­du­al­sym­pto­me – die homöo­pa­thi­schen Mit­tel Bryo­nia, Cup­rum, Rhus toxi­coden­dron und Ver­atrum bei Erschei­nen. Sozu­sa­gen ein zwei­pha­si­ges Vor­ge­hen des Meis­ters selbst!

In die­sem Zusam­men­hang berich­tet auch A. v. Geb­hardt über die Erfol­ge der Homöo­pa­thie bei der Behand­lung die­ser o. g. Seu­che [4]:

“In den Jah­ren 1830 und 1831 wur­den in Russ­land in den von der Cho­le­ra ergrif­fe­nen Gou­ver­ne­ments Sarat­off, Tambtoff und Twer 1270 Pati­en­ten homöo­pa­thisch behan­delt: 1162 davon gena­sen, 108 star­ben. Dem­nach kom­men auf 100 Erkrank­te 91 3/​5 Gene­se­ne und 8 2/​5 Gestor­be­ne, und es ist höchst merk­wür­dig, dass die­ses Ver­hält­nis dem Ergeb­nis­se der homöo­pa­thi­schen Behand­lung der Cho­le­ra in Ungarn, Mäh­ren und Wien fast ganz gleich ist.

Der König­li­che Kreis­phy­si­kus Dr. Stre­cker in Din­gel­stedt hat in einem Dor­fe des Eich­fel­des von 58 homöo­pa­thisch behan­del­ten Cho­le­ra­kran­ken 54 geret­tet und die Resul­ta­te sei­nes Ver­fah­rens der König­li­chen Regie­rung zu Erfurt vor­ge­legt. (Vgl. Schwei­ckerts Zei­tung vom Jah­re 1832, Nr. 50.)

Zu Mühl­hau­sen in Thü­rin­gen star­ben inner­halb 11 Wochen von 400 all­o­pa­thisch behan­del­ten Cho­le­ra­kran­ken 214 (nach amt­li­chen Berich­ten), wäh­rend eben­da­selbst vom Chir­ur­gus Wohl­le­ben aus Kör­ner (im Got­hai­schen) von 43 homöo­pa­thisch behan­del­ten Cho­le­ra­pa­ti­en­ten nur 10 star­ben. (Vgl. “Allg. Anzei­ger d.D. ” vom Jah­re 1832, Nr. 335.)

Als im Jah­re 1854 die Cho­le­ra nach Paler­mo kam, erkrank­ten daselbst 1513 Sol­da­ten; also Leu­te, die in betreff der Nah­rung, Klei­dung, Woh­nung, Beschäf­ti­gung, der Kör­per­kräf­te, des Alters, kurz aller irgend­mög­li­chen Ver­hält­nis­se, mög­lichst gleich­ge­stellt waren. Von die­sen wur­den all­o­pa­thisch behan­delt 902 und star­ben 386, also über 42 %; homöo­pa­thisch behan­delt wur­den 611, von denen nur 25, also kaum 4% starben.

In dem oben­ge­nann­ten Jah­re such­te die Cho­le­ra auch die Carai­bi­schen Inseln heim, und auf der “Per­le” die­ser Inseln, Bar­ba­dos, erkrank­ten 2113 Per­so­nen. Von 346 all­o­pa­thisch Behan­del­ten star­ben 154, von den 1767 homöo­pa­thisch Behan­del­ten jedoch bloß 370.

In dem­sel­ben Jah­re erkrank­ten auch zu Raab in Ungarn 1371 Per­so­nen an der Cho­le­ra. Von die­sen ver­trau­ten sich 1217 all­o­pa­thi­schen Ärz­ten an, und es star­ben von ihnen 578, wäh­ren von den 154 Pati­en­ten des homöo­pa­thi­schen Arz­tes Dr. Bako­dy nur 6 starben.”

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